Die Geschichte der Jute: vom Samen zum Seil


TEIL 1/5

Zu den Hauptaufgaben von AMATSUNAWA gehört es, die Seilbondage-Community mit zuverlässigen, wahrheitsgemäßen Informationen zu versorgen. Diese Geschichte in 5 Teilen beschreibt eine Reise gemeinsam mit unseren japanischen Partnern in ein Juteanbaugebiet kurz vor dem Beginn der Erntezeit, zu unserem Garnlieferanten und zu deren Seilerei.

Die Geschichte der Jute: vom Samen zum Seil

Teil 1

Seit seiner Einführung in Japan Mitte der 1980er Jahre hat sich Jute zum vorherrschenden Material für Shibari entwickelt, da es die beste Materialwahl für die Anwendung ist. Viele haben seitdem mühsame Wege entwickelt, um industrielle Seile, die nie zum Fesseln des menschlichen Körpers gedacht waren, in etwas für den Zweck Verwendbares zu verwandeln.

Vor einem Jahrzehnt, nach einem unglücklichen dermatologischen Vorfall, versuchte ich, die Ursache zu verstehen und ein besseres Seil für meine eigenen Zwecke zu finden. Als der Markt wuchs, musste ich meinen Tagesjob als CTO eines Unternehmens mit Lieferanten und Kunden in Japan aufgeben.

Der Anbau und die Verarbeitung von Jute, Garnen und Seilen ist weitaus komplizierter, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Ich musste meine Denkweise diametral ändern, von qualifizierten Physikern, die ihre Spezifikationen akribisch in Nanometern angeben, zu einem landwirtschaftlichen Lieferanten aus einem Entwicklungsland. 

Darüber hinaus, war es notwendig vor Ort zu sein um die Perfektionierung unseres Ziels voran zubewegen und um fundiertes Wissen und auf Fakten basierende Informationen zu erlangen – ein verlässlicher Lernprozess, der nicht auf Hörensagen basiert. Aus meiner Zeit in der Industrie wusste ich bereits, dass wir große Mindestmengen einkaufen mussten. 

Eine der Kernaufgaben von AMATSUNAWA ist es, die Seilbondage-Community mit zuverlässigen, wahrheitsgemäßen Informationen zu informieren und nicht Jagd auf die Unwissenden zu machen. Die Spezifikation eines Produkts wie Juteseil beginnt mit Containervolumen. 

In den letzten zwei Jahrzehnten avancierte ich vom Kauf von Juteseillängen in den Sexshops von Kabukichō zu den Seilspulen der urigen kleinen High-Street-Seilläden wie Kawasaki, Ogawa usw. hin zu etablierten Seilherstellern und besuchte viele abgelegene Ecken Japans. Inzwischen kaufen wir Juteseil tonnenweise ein. 

Seit den frühen 90er Jahren reiste ich geschäftlich um die Welt um zu forschen, entwickeln, erfinden, entwerfen und um Lösungen zur Überwindung von Problemen zu finden. Mit der Zeit entwickelt man basierend auf der eigenen Erfahrung ein Bauchgefühl dafür, wenn etwas nicht zusammenpasst. Es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, dass die Japaner aufgrund der Transportlogistik und der Arbeitskosten ihre Naturfaserseilaufträge an Lieferanten in Bangladesch, Indien und China usw. vergaben. Letztere kauften schnell Garnspinnereien auf, die durch eine Reihe von Krisen bankrottgingen. Daher ist es leider nur ein romantischer Glaube, dass ein JBO-getränktes Industrieseil "traditionell" japanisch ist und leider vielmehr in einer Sweatshop-Fabrik in der Nähe von Shanghai oder Kalkutta hergestellt wurde. 

Während Jute in vielen Ländern wachsen kann, sind es der einzigartige Boden, das sauerstoffreiche Flusswasser aus dem Himalaya, Monsunregen und stabile Temperaturen, die die beste Faser für Tauwerk produzieren. Fast 99% des weltweiten Angebots wächst in Bengalen, wobei bestimmte Bezirke in Bangladesch dafür bekannt sind, weitaus hochwertigere Fasern zu produzieren als in Indien.

Dies ist jedoch nicht der Anfang der Geschichte. Beginnen wir also mit der Reise zu einem typischen Anbaugebiet, welches nur 90 km von Dhaka entfernt liegt. Eine geschätzte Reisedauer von ca. 3 Stunden von unserem von schwer bewaffneter Armee bewachtem Hotel. Willkommen beim Autofahren in einem Land, das etwa doppelt so groß ist wie Irland, aber eine 35-mal größere Bevölkerung hat und ohne, wie es scheint, eine einzige Ampel. Auf welcher Straßenseite fährt man eigentlich in Bangladesch? 

Ich verbrachte während meines 7-tägigen Aufenthalts rund 16 Stunden auf der Straße und habe es noch nicht herausgefunden. Die Städte sind ohrenbetäubend laut. Es wird ständig gehupt, um andere Verkehrsteilnehmer über die eigene Anwesenheit zu informieren. Schlechte Stimmung kommt deswegen nicht auf. 

Man kann eine Autobahn entlangfahren und dabei Busse und LKWs mit schwarz rauchenden Auspuffen, Tuk-Tuks und Radfahrer rechts und links überholen. Der ein oder andere kommt als Geisterfahrer entgegen oder hält plötzlich an, um herauszufinden wie eine riesige Bodenwelle auf einem unfertigen Straßenabschnitt aus Rohbeton oder eine Schlammspur überwunden werden kann. 

Auf zweispurigen Straßen kommt mir der Gegenverkehr auf der eigenen Spur entgegen, einschließlich Rikschas und Menschen, die die Straße überqueren. Der Fahrstil besteht darin, zur Warnung zu hupen und dort durchzufahren, wo sich gerade eine Lücke auftut. Straßenkreuzungen sind die dunkelsten Kapitel dieser Komödie. Stellen Sie sich vor, dass mehrere Gruppen von Stadionbesuchern in unterschiedliche Richtungen gehen. Wenn sich eine Lücke auftut, füllt man sie, bis man durchkommt, die ganze Zeit hört man nur ein stetiges HUPEN, TUTEN UND PIEPEN. Der Lärm ist kontinuierlich und ohne Unterbrechung, rund um die Uhr. Fahrzeuge und Menschen ziehen an mir vorbei wie ein Strom, der einen Felsen umspült.

180 Minuten später haben wir die nagelneue, von China gebaute Padma-Brücke, auf einer der wenigen gebührenpflichtigen Autobahnen überquert. Busse, die längst für den Schrottplatz bestimmt wären, rasen an dahin kriechenden Lastwagen vorbei. Bauern schlendern über die Brücke, während Ziegen und Hühner auf dem Mittelstreifen grasen. Dass wir das Juteanbaugebiet erreichen, erkennen wir an den Jutefilamenten, die in der Sonne trocknen und über den Armco-Schranken hängen. Es ist mehr als surreal.

Kiyonori san nimmt alles gelassen hin. Er macht diese Reise schon seit drei Jahrzehnten. Für seinen Sohn, der in fünfter Generation CEO wird, ist es ebenfalls das erste Mal. Yu san und ich wurden durch die Achterbahnfahrt, ohne Sicherheitsgurte oder Airbags, völlig durchgeschüttelt und sind einfach nur erleichtert, dass wir noch am Leben sind. Der Stresspegel erreichte das maximale Level. Ich konnte keine Fotos machen, weil ich mich die ganze Fahrt über festhalten und auf einen möglichen Aufprall gefasst machen musste.  

Schließlich machen wir eine Kehrtwende und biegen auf die parallel verlaufende Zufahrtsstraße ein. Natürlich entgegen der Fahrtrichtung. Als ein Lastwagen frontal auf uns zurollt und seine Hupe ertönen lässt, schließe ich die Augen und überlege, ob ich mich nicht doch zu einen Glauben bekennen soll.

Wir erreichen einen kleinen Bauernhof, der unser Ziel ist. Als ich aus dem klimatisierten Auto aussteige, hat es draußen 37 °C und 98 % Luftfeuchtigkeit. Es ist, als würde ich gegen eine Wand aus heißer, feuchter Luft stoßen. Der Schweiß rinnt mir in Strömen herunter und durchnässt meine Kleidung in Minutenschnelle. 

Wir werden vom Sohn des Bauern begrüßt, während seine Mutter und seine Schwester die feuchte Jute zum Trocknen über einen langen Bambusholm hängen. Er führt uns einen kleinen Abhang hinter der Wohnhütte der Familie hinunter, und da ist es endlich, ein Jutefeld. 

Nur "Feld" ist vielleicht ein zu großes Wort, wenn man unsere westliche Perspektive bedenkt. Ich bemerke den Boden. Man hat uns gesagt, es sei Lehm, der aber nichts von der klebrigen Zähigkeit hat, die wir zu Hause als Lehm bezeichnen würden. Selbst im feuchten Zustand ist er noch bröckelig, die Farbe ist ein blasses Hellbraun.

Ich war schockiert, als ich die Pflanzen zum ersten Mal sah. Sie hatten nicht die großen Stämme, die ich erwartet hatte. Sie wachsen ziemlich gerade mit den meisten Blättern, und einigen kleinen Verzweigungen an der Spitze. Die Pflanzen sind insgesamt über 3 Meter hoch. Die dicksten Stämme haben am Boden einen Durchmesser von vielleicht 2,5 cm. Wir haben eine Pflanze aufgeschnitten, um einen Blick auf den Querschnitt zu werfen. Der Geruch des Saftes ist für meinen Geruchssinn ähnlich wie der von Holunder.

Ein Jutefeld ist nicht wie ein endloses Weizenfeld. Die Landwirte bauen Jute in Blöcken von etwa 5 x 25 m an. Die Pflanzen stehen etwa 4-5 cm voneinander entfernt. Die Farbe der Stängel ist ein helles Grün, das sich wie raues Sandpapier anfühlt. Die Wurzeln werden erst nach dem Ausreißen abgeschnitten, da sich die Pflanzen sehr leicht aus dem Boden heben. Mir wird klar, welche Verwüstung der Super-Zyklon Amphan in der Ernte 2020 angerichtet haben muss. 

Die abgeschnittenen Wurzeln können als Dünger in den Boden eingearbeitet werden, gemischt mit Kuhmist und Abfällen von Rhabarberwurzeln und -blättern (Rheum palmatum rhubarb). Es werden keine chemischen Düngemittel verwendet. Selbst die antibakteriellen und fungiziden Wirkstoffe sind natürlich und stammen von lokalen Pflanzen (ebenso wie die Jutewurzeln als Dünger für andere Anbaukulturen). Das Ganze hat einen natürlichen zirkulären Charakter.

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